Unterstützer_innen
Aufruf zum 26. antifaschistischen & antirassistischen Ratschlag in Ilmenau
Am 9. November 1938 zündeten Deutsche landesweit Synagogen und andere jüdische Einrichtungen an, verfolgten
und ermordeten Jüdinnen und Juden. Seit den 90er Jahren organisieren wir um den Jahrestag dieser Ereignisse,
die als Reichspogromnacht in die Geschichte eingingen, den antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag,
um uns aktuellen Formen des Menschenhasses zu stellen. Der antifaschistische und antirassistische Ratschlag will
faschistische Tendenzen in ihren unterschiedlichsten Formen und Erscheinungen bekämpfen, die Aktiven zusammenbringen
und vernetzen sowie Positionen und Strategien im Bereich des Antifaschismus und Antirassismus diskutieren. Dieses
Jahr wird der Ratschlag am 4./5. November in Ilmenau stattfinden.
Warum Ilmenau?
Ilmenau ist eine bürgerlich-konservativ administrierte Kleinstadt im südlichen Ilm-Kreis, die sich selbst als
weltoffene und tolerante "Goethe- und Universitätsstadt" versteht. Es gibt eine lebendige Studierendenkultur und
eine, wenn auch prekäre, Kulturszene. Regelmäßig finden Projekte von Studierenden, Jugendgruppen und Rentner*innen
zu antifaschistischen und antirassistischen Themen statt. Doch zur Wirklichkeit gehört auch, dass Polizei und
Stadtverwaltung alternativen Jugendlichen das Leben erschweren, während die Universität einen distanzlosen Umgang
mit den reaktionären Burschenschaften pflegt. Eine wenig politisch engagierte Studierendenschaft und eine sich
unpolitisch gebende Universitätsleitung harmonieren gut mit der Stadtpolitik.
Seit Jahren gibt es in Ilmenau und Umgebung einen wahrnehmbaren Rassismus, der sich neben Pöbeleien und Propaganda auch in
Bedrohungen und offener Gewalt gegenüber ausländischen Studierenden, Linken oder Geflüchteten entlädt. Von der Polizei
und der Lokalpresse werden solche Ereignisse - wenn sie überhaupt Erwähnung finden - meist als unpolitische Konflikte
verharmlost und so in ihrer politischen Dimension relativiert. Schaden vom Stadtimage fern zu halten, ist das gemeinsame
Ziel der etablierten Institutionen.
Neben regelrechten Angriffswellen von Neonazis auf linke WGs und ausländische Studierende, kam es auch im benachbarten
Langewiesen zu einer Vielzahl von Verwüstungen und Brandanschlägen auf einen von Punks und alternativen Jugendlichen
genutzten Club. Doch nicht nur auf Gewalt verstehen sich örtliche Nazis. Auch die Ausnutzung und zeitweise Unterwanderung
städtischer Angebote gelang ihnen in jüngster Zeit. Bis zum Jahr 2009 existierte mit dem „Blauen Wunder“ ein durch Neonazis
genutzter Jugendclub, wo akzeptierende Jugendarbeit betrieben wurde. Diese gehörten zur Ilmenauer Sektion des Thüringer
Heimatschutzes. Im Jahr 2011 gelang es den örtlichen Neonazis kurzzeitig, den Ilmenauer Kinder- und Jugendbeirat zu
unterwandern. Inzwischen vernetzen sich Ilmenauer und Langewiesener Neonazis auffällig offen mit überregionalen Nazistrukturen.
Vieles deutet auf eine Reorganisation der örtlichen Naziszene hin. Auch der NSU-Terrorist Uwe Mundlos hielt sich bis kurz vor
seinem Untertauchen einige Jahre in Ilmenau auf.
Vernetzt sind allerdings nicht nur die Neonazis, sondern auch das etwas biederere rassistische und sozialchauvinistische Milieu,
das sich im Ilm-Kreis um die AfD sammelt. In Arnstadt, der Kreisstadt des Ilm-Kreises, befindet sich die Hochburg von Thüringens
AfD, getragen durch eine große reaktionäre Basis um die örtliche Partei Pro Arnstadt und die Postille Arnstädter Stadtecho.
Nirgendwo ist die AfD in Thüringen so stark wie im Ilm- Kreis.
Die rechte Szene des Landkreises ist groß, breit gefächert und eine immerwährende Gefahr, die bürgerlichen Verhältnisse in
Thüringen zu kippen und wieder Schlimmeres ins Werk zu setzen als das Bestehende. Die Aktiven des Ratschlags unterstützen
jene Kräfte, die sich gegen solche Verhältnisse in Ilmenau und dem Ilm-Kreis zur Wehr setzen.
Fluchtbewegung und rechte Mobilisierungen
Seit dem Jahr 2015 erlebt die Thüringer Neonaziszene sowie andere rassistische Parteien und Organisationen einen enormen Zulauf.
Auslöser dieses gesellschaftlichen Rechtsrucks, der sich bundesweit u.a. in den Wahl- bzw. Umfrageergebnissen für AfD und NPD und
dem gestiegenen Mobilisierungpotential der deutschen Rechten widerspiegelt, ist die andauernde Fluchtbewegung aus den Kriegs- und
Elendsregionen des globalen Südens.
Während tausende Freiwillige und Ehrenamtliche in ganz Deutschland die Aufnahme und Unterbringung von hunderttausenden
Flüchtlingen ermöglichten, reagiert das rassistische Wutbürgertum vor allem in Ostdeutschland mit einer rassistischen
Mobilmachung. Das Hilfeersuchen von Menschen, die außer ihrem nackten Leben alles verloren und/oder hinter sich gelassen
haben, beantworten die „besorgten Bürger“ mit Anfeindungen, Angriffen, Sabotagen, Blockaden, bis hin zu Brand- und
Mordanschlägen.
Neben all den Attacken aus der rassistischen Basisbewegung tragen auch der bürgerliche Staat und seine Institutionen dazu bei, dass
Flüchtlingen in Westeuropa ein Leben in Unversehrtheit verwehrt bleibt. Neben dem europäischen Abschottungsregime, das durch
Deals mit dem islamischen Regime der Türkei, die Grenzen immer mehr abdichtet, wäre das gewollte Massengrab Mittelmeer z
u nennen, wo Frontex und Co. zur Flüchtlingsabwehr patrouillieren.
Und wer es einmal nach Deutschland geschafft hat, muss den Technokraten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge glaubhaft
machen, Gründe für Asyl zu haben. Als würden Menschen ihr Zuhause freiwillig verlassen, um sich durch das Mittelmeer oder den
Balkan nach Westeuropa durchzuschlagen. Allerorts ist zu beobachten, wie politische Verantwortliche in Deutschland vor den
rassistischen Scharfmachern auf der Straße und in den Parlamenten zurückweichen und härtere Gangarten gegen Geflüchtete
einfordern oder in Form von Asylrechtsverschärfungen praktizieren; etwa dann, wenn Hilfesuchende wieder abgeschoben werden.
Extremismus? Extrem menschenfeindliche Verhältnisse!
Der Ratschlag stellt sich dabei nicht gegen ein wie auch immer inhaltlich gefülltes Konstrukt von „Extremismus“,
sondern gegen menschenfeindliches Denken und Handeln sowie die Verhältnisse, die dieses ermöglichen. Diese
Verhältnisse werden von der Extremismusdoktrin, die alle Übel an irgendwelchen politischen Rändern, aber bloß nicht
im Wesenskern der Gesellschaftsordnung ausmachen will, verharmlost.
Die Gefahr für Menschen durch antisemitische und rassistische Mordbrennerei und ihre Vorstufen besteht nicht in radikalen
Ansichten, sondern in einem Denken, das Menschen anhand ihrer Nützlichkeit für die Produktionsordnung bewertet und der
Einrichtung der bestehenden Gesellschaft, die den Menschen solches Denken und Verhalten nahelegt. Das Mittelmeer ist
längst zu einem Massengrab geworden, weil die kapitalistischen Industriemetropolen die in diese Zentren fliehenden
Armen, deren Armut man mitzuverantworten hat, abschottet, wo es geht. Jene für die kapitalistische Produktionsordnung
Überflüssigen, die an den Grenzen Europas dem Tod preisgegeben werden, werden von den die eigene Überflüssigkeit
fürchtenden deutschen Einheimischen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ angefeindet, egal, ob sie vor Krieg oder Armut fliehen.
Die Rede von der drohenden Islamisierung, von dem Verlust der Kultur und des Wertekanons eines Abendlandes soll diesem
Rassismus nur höhere Würden verleihen. THÜGIDA, AfD und Co. fürchten nicht um die abendländische Kultur, sie fürchten
die Konkurrenz und die Armut, die ihnen die Flüchtlinge vor Augen führen und die die eigene Zukunftsperspektive von
Kleinfamilie, Eigenheim und sicherer Rente für lebenslange Arbeit bedroht. Dabei bekämpfen sie statt der Armut die
Armen und haben eine Gesellschaft im Sinn, in der für wirkliche Solidarität erst recht kein Platz mehr sein soll.
Gegen solch extreme Verhältnisse, ihre Befürworter und die, die noch Schlimmeres im Sinn haben, wendet sich der
antifaschistische und antirassistische Ratschlag. Uns, die Aktiven des Ratschlags in Thüringen, verbindet das
Interesse an einer offenen und solidarischen Gesellschaft, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können.
Dass eine solche Gesellschaft nicht erreicht ist, darüber sind wir uns einig, wie wir uns einer solchen Gesellschaft
nähern wollen und können, darüber wollen wir streiten.
Der Ratschlag als Ort zum Diskutieren, Streiten, Vernetzen
Der Ratschlag repräsentiert und vernetzt die ganze Breite des Antifaschismus in Thüringen von breiten, pluraleren
Bürgerbündnissen, Gewerkschaften, Parteien bis zu linksradikalen Antifa-Gruppen. Dabei streiten wir nicht nur um die
Frage der Mittel der politischen Auseinandersetzung, sondern auch um Deutungsansätze, die die Bedrohung durch Nazis in
ihren gesellschaftlichen Kontext setzt.
Während sich die einen für breiten Widerstand gegen Naziaufmärsche und -strukturen sowie um Aufklärung, etwa in Form des
Abbaus von Vorurteilen, und Menschenrechtsbildung bemühen, begreifen die anderen Antisemitismus und Rassismus als
notwendige gesellschaftliche Verhältnisse in einer Gesellschaftsordnung, die die Menschenrechte ebenso hervorbringt
wie die Möglichkeit ihrer Abschaffung. Gemäß jenem Ansatz kategorialer Gesellschaftskritik, wie ihn etwa linksradikale
Gruppen betreiben, erfordert die nachhaltige Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus die Abschaffung der
kapitalistischen Vergesellschaftungsweise.
Quasi quer zu jenen Deutungsansätzen, organisatorischen und theoretischen Hintergründen der verschiedenen Akteure des
Antifaschismus in Thüringen verbinden uns praktische Bemühungen, etwa zur Eindämmung faschistischer Bewegungen oder
zur Schaffung einer humanitären Flüchtlingspolitik und sei es durch geringste Verbesserungen in der Unterbringung,
Versorgung oder der Möglichkeit überhaupt nach Thüringen zu gelangen.
Der antifaschistische und antirassistische Ratschlag will sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede seiner Akteure
bewusst machen, diese offen diskutieren und richtet sich darin nicht nur an organisierte Antifaschistinnen und
Antifaschisten in Thüringen, sondern an alle interessierten Menschen.
Wer am 4./5. November gemeinsam mit uns diskutieren, sich und andere aufklären und sich mit anderen Aktiven vernetzen
möchte, den laden wir herzlich ein, zum 26. antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag nach Ilmenau zu kommen!
Unterstützer_innen:
aagth – Antifaschistische Aktion Gotha
agst – Antifaschistische Gruppen Südthüringen
Aktionsnetzwerk Jena gegen Rechtsextremismus
Aktionsnetzwerk NoSügida
Bildungskollektiv BiKo
Bündnis 90/Die Grünen Thüringen
Bündnis 90/Die Grünen Ilm-Kreis
Bündnis „Auf die Plätze, fertig: Mittwoch!“
Bündnis „Grenzen Abschaffen! Gegen deutsche Zustände und Festung Europa“
Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar (BgR)
DIE LINKE Landesverband Thüringen
DIE LINKE Landtagsfraktion Thüringen
DGB Bezirk Hessen-Thüringen
DGB-Bildungswerk Thüringen e.V.
DGB Jugend Thüringen
DGB-Kreisverband Ilmkreis
Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Thüringen
Europa-Büro Gabi Zimmer
ezra - mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen
Filmpirat*innen
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Garage Langewiesen
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Thüringen
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)
Grüne Jugend Thüringen
IGMetall
Infoladen Gotha
Infoladen Sabotnik
JG Stadtmitte Jena
Jugend- und Wahlkreisbüro Haskala Katharina König
Juso Hochschulgruppe Ilmenau
Jusos Ilm-Kreis
Jusos Thüringen
Kommune Waltershausen
Konferenz Thüringer Studierendenschaften
MOBIT e.V.
Naturfreunde Thüringen
Naturfreundejugend Thüringen
Offene Arbeit Erfurt
offenes Jugend- und Wahlkreisbüro RedRoXX
Pekari – Linke Basisgruppe
Pro Bockwurst - offene Wählergemeinschaft
Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
Rote Hilfe Südthüringen
SJD – Die Falken. Landesverband Thüringen
Solibri. Solidarität bringt's
SPD Ilmenau
s.p.u.k. e.V.
The Voice Refugee Forum
Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts
TVVdN-BdA
ver.di Thüringen
Wahlkreisbüro Astrid Rothe-Beinlich
Wahlkreisbüro Diana Lehmann
Wahlkreisbüro Frank Kuschel
Wahlkreisbüro Iris Gleicke
Wahlkreisbüro Madeleine Henfling
Wahlkreisbüro Martina Renner
Wahlkreisbüro Sabine Berninger
Wahlkreisbüro Steffen Dittes
SPD-Thüringen
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