Der Ratschlag findet vom 02. - 03. November 2018 in der Goetheschule in Eisenach, Pfarrberg 1 statt.
Unterstützer_innen
Aufruf zum 28. antifaschistischen & antirassistischen Ratschlag in Eisenach
Im Jahr 2018 jährt sich zum 80. Mal die Reichspogromnacht. Am 9. November 1938 zündeten Deutsche landesweit Synagogen
und andere jüdische Einrichtungen an, verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden. Seit den 90er Jahren organisieren
wir um den Jahrestag dieser Ereignisse den antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag, um uns aktuellen Formen
des Menschenhasses zu stellen. Der antifaschistische und antirassistische Ratschlag will faschistische Tendenzen in
ihren unterschiedlichsten Formen und Erscheinungen bekämpfen, die Aktiven zusammenbringen und vernetzen sowie
Positionen und Strategien im Bereich des Antifaschismus und Antirassismus diskutieren. Dieses Jahr wird der Ratschlag
am 2./3. November in Eisenach stattfinden.
Warum Eisenach?
In der Wartburgstadt Eisenach findet nicht nur jedes Jahr ein riesiges rechtes Burschenschafts- treffen statt, die im
Westen Thüringens gelegene Kreisstadt ist auch eine Hochburg der Naziszene in Thüringen. Der Kopf der rechten Szene ist
der bereits mehrfach vorbestrafte NPD-Stadtrat Patrick Wieschke, der auch schon im „Thüringer Heimatschutz“
(NSU-Strukturen) aktiv war.
Seit Spätsommer 2014 besitzen die Nazis in Eisenach eine eigene Immobilie, in der die Thüringer NPD ihre
Landesgeschäftsstelle eröffnet hat. Dort finden regelmäßig Konzerte, Vorträge und andere Veranstaltungen statt, in
denen rassistische, menschenverachtende und antisemitische Ideologien verbreitet werden. Bekannte Gäste wie Michael
Regener, ehemaliger Sänger der neonazistischen Band Landser, die als kriminelle Vereinigung eingestuft wurde oder
Frank Rennicke, ein rassistischer Liedermacher, den die NPD 2009 und 2010 als Bundespräsident vorgeschlagen hat,
gastierten bereits im „Flieder Volkshaus“.
Seit 2014 konnte man zunehmend Aktivitäten von jüngeren Nazis beobachten, die in der Thüringer NPD-Zentrale aktiv sind.
Die Akteure stammen aus dem Umfeld von Patrick Wieschke und bis heute wuchs die Gruppe stetig. 2015 kam es schließlich
zur Gründung der Jugendgruppe „Nationale Jugend Eisenach-Wartburgkreis“. Immer wieder kam es zu gewalttätigen
Übergriffen. Auch nazistische Graffitis und Aufkleber tauchten vermehrt in der Stadt auf. Die Gruppe
„Jugendoffensive WAK“ ist bundesweit im sogenannten Antikapitalistischen Kollektiv vernetzt, das zur Szene der
Autonomen Nationalisten zählt.Patrick Wieschke meldete unregelmäßig nationale Montagsdemons- trationen im Stile der
rassistischen Basisbewegung PEGIDA an und bekam damit regen Zuspruch der Eisenacher Nazis und weiteren Teilen der
„besorgten“ Anwohnerschaft. Mittlerweile hat er dies allerdings aufgegeben.
Der Gegenprotest, der sich aus Zivilgesellschaft, einem Bürgerbündnis und einigen Antifas zusammensetzt, fällt in
Eisenach leider sehr gering aus.
Thüringen – das braune Herz Deutschlands?
Zur Bundestagswahl 2017 erhielt die Thüringer AfD nach der CDU die zweitmeisten Stimmen – ein ganz bitterer
Vorgeschmack auf die anstehende Landtagswahl im Herbst 2019. Noch dunkler ist es bloß im benachbarten Sachsen. In
Thüringens Süden finden seit Jahren regelmäßig riesige Nazi-Open-Air-Festivals statt. Bis zu 6.000 Besucher kamen in
den vergangenen Jahren zu Konzerten und füllten die überlaufenden Kassen der militanten Naziszene des Landes. Bestimmte
Gegenden Thüringens sind zur Wohlfühloase der europäischen Naziszene geworden. Mit bedeutendem Widerstand ist nicht zu
rechnen – sowohl seitens der Behörden als auch von antifaschistischer Gegenwehr; zu schwach sind unsere Kräfte im
Angesicht tausender anreisender Nazis aus ganz Europa. Und solange beim „Rock gegen Überfremdung“ in Themar weiterhin
in aller Öffentlichkeit „Hitlergrüße“ gezeigt werden und „Sieg Heil“-Rufe ertönen und die Veranstalter rund um Tommy
Frenck und Patrick Schröder deswegen kaum bis keine rechtlichen Konsequenzen befürchten müssen, werden auch im kommenden
Sommer wieder tausende Neonazis nach Themar oder auf andere Festivalwiesen in Thüringen ziehen.
In einem solchen politischen Klima, einer immer stärker werdenden AfD und ihrem militanten Arm auf den Straßen, ist es
nicht verwunderlich, dass auch die Angriffe auf Nicht-Deutsche, Linke oder andere Personengruppen zunehmen, die den
Nazis die völkische Reinheit im braunen Herzen Thüringens bedrohen. Aus diesen Gründen trägt Thüringen als Herkunftsland
des NSU den inoffiziellen Titel „das braune Herz Deutschlands“ zu Recht.
Fluchtbewegung, rechte Mobilisierungen und AfD-Siegeszug
Seit dem Jahr 2015 erlebt die Thüringer Neonaziszene sowie andere rassistische Parteien und Organisationen einen
enormen Zulauf. Sichtbar wird diesergesellschaftliche Rechtsruck, der sich bundesweit u.a. in den Wahlergebnissen für
die protofaschistische AfD und dem gestiegenen Mobilisierungpotential der deutschen Rechten widerspiegelt, durchdie
immer noch andauernde Fluchtbewegung.
Während tausende Freiwillige und Ehrenamtliche in ganz Deutschland die Aufnahme und Unterbringung von hunderttausenden
Flüchtlingen ermöglichten und bis heute aktiv Integrationsarbeit leisten, reagierte das rassistische Wutbürgertum vor
allem in Ostdeutschland mit einer rassistischen Mobilmachung. Das Hilfeersuchen von Menschen, die außer ihrem nackten
Leben alles verloren und/oder hinter sich gelassen haben, beantworten die „besorgten Bürger“ mit Anfeindungen,
Angriffen, Sabotagen, Blockaden, bis hin zu Brand- und Mordanschlägen.
Inzwischen hat es die rassistische Basisbewegung geschafft, das in Deutschland niemals verschwundene Potential
rassistischen und antisemitischen Denkens, in Parteiform zu etablieren. Der AfD ist gelungen, was die NPD zuvor
vergeblich versuchte. Sie hat das von Thüringen Monitor bis Heitmeyer-Studien jährlich attestierte Potential der
deutschen Rechten für sich an die Wahlurnen mobilisiert. Rassistische Akteure anderer Parteien und Organisationen sowie
große Teile der Massenmedien leisteten ihr Übriges, die AfD als „konservative“ Kraft zu verharmlosen, die die „Ängste“
der „besorgten Bürger“ ernst nimmt. Damit ist eine Partei entstanden, der in der öffentlichen Wahrnehmung nicht das
Brandstifter-Schmuddelimage der NPD anhaftet und zu der sich „besorgte Bürger“ bekennen können, ohne soziale Ächtung
befürchten zu müssen; die aber programmatisch von der NPD in ihren Kernpositionen kaum zu unterscheiden ist.
Neben all den Attacken aus der rassistischen Basisbewegung tragen auch der bürgerliche Staat und seine Institutionen
dazu bei, dass Flüchtlingen in Westeuropa ein Leben in Unversehrtheit verwehrt bleibt. Neben dem europäischen
Abschottungsregime, das durch Deals mit dem Regime der Türkei, die Grenzen immer mehr abdichtet, wäre das gewollte
Massengrab Mittelmeer zu nennen, wo Frontex und Co. zur Flüchtlingsabwehr patrouillieren.
Und wer es einmal nach Deutschland geschafft hat, muss den Technokraten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
glaubhaft machen, Gründe für Asyl zu haben. . Allerorts ist zu beobachten, wie politische Verantwortliche in
Deutschland vor den rassistischen Scharfmachern auf der Straße und in den Parlamenten zurückweichen und härtere
Gangarten gegen Geflüchtete einfordern oder in Form von Asylrechtsverschärfungen praktizieren; etwa dann, wenn
Hilfesuchende wieder abgeschoben werden. Es sind eben nicht die NPD oder AfD, die das Asylrecht immer weiter zu seiner
Abschaffung treiben oder die deutschen und europäischen Grenzen abschotten und Sammelzentren für Geflüchtete an diesen
fordern, sondern es ist die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU in der sich der gesellschaftliche Rechtsruck genauso
zeigt.
Extremismus? Extrem menschenfeindliche Verhältnisse!
Der Ratschlag stellt sich dabei nicht gegen ein wie auch immer inhaltlich gefülltes Konstrukt von „Extremismus“,
sondern gegen menschenfeindliches Denken und Handeln sowie die Verhältnisse, die dieses ermöglichen. Diese Verhältnisse
werden von der Extremismusdoktrin, die alle Übel an irgendwelchen politischen Rändern, aber bloß nicht im Wesenskern
der Gesellschaftsordnung ausmachen will, verharmlost.
Die Gefahr für Menschen durch antisemitische und rassistische Mordbrennerei und ihre Vorstufen besteht nicht in
radikalen Ansichten, sondern in einem Denken, das Menschen anhand ihrer Nützlichkeit für die Produktionsordnung
bewertet und der Einrichtung der bestehenden Gesellschaft, die den Menschen solches Denken und Verhalten nahelegt. Das
Mittelmeer ist längst zu einem Massengrab geworden, weil die kapitalistischen Industriemetropolen die in diese Zentren
fliehenden Armen, deren Armut man mitzuverantworten hat, abschottet, wo es geht. Jene für die kapitalistische
Produktionsordnung Überflüssigen, die an den Grenzen Europas dem Tod preisgegeben werden, werden von den die eigene
Überflüssigkeit fürchtenden deutschen Einheimischen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ angefeindet, egal, ob sie vor Krieg
oder Armut fliehen.
Die Rede von der drohenden Islamisierung, von dem Verlust der Kultur und des Wertekanons eines Abendlandes soll diesem
Rassismus nur höhere Würden verleihen. PEGIDA, AfD und Co. fürchten nicht um die abendländische Kultur, sie fürchten
die Konkurrenz und die Armut, die ihnen die Flüchtlinge vor Augen führen und die die eigene Zukunftsperspektive von
Kleinfamilie, Eigenheim und sicherer Rente für lebenslange Arbeit bedroht. Dabei bekämpfen sie statt der Armut die
Armen und haben eine Gesellschaft im Sinn, in der für wirkliche Solidarität erst recht kein Platz mehr sein soll.
Gegen solch extreme Verhältnisse, ihre Befürworter und die, die noch Schlimmeres im Sinn haben, wendet sich der
antifaschistische und antirassistische Ratschlag. Uns, die Aktiven des Ratschlags in Thüringen, verbindet das
Interesse an einer offenen und solidarischen Gesellschaft, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können.
Dass eine solche Gesellschaft nicht erreicht ist, darüber sind wir uns einig, wie wir uns einer solchen Gesellschaft
nähern wollen und können, darüber wollen wir streiten.
Der Ratschlag als Ort zum Diskutieren, Streiten, Vernetzen
Der Ratschlag repräsentiert und vernetzt die ganze Breite des Antifaschismus in Thüringen von breiten, pluraleren
Bürgerbündnissen, Gewerkschaften, Parteien bis zu linksradikalen Antifa-Gruppen. Dabei streiten wir nicht nur um die
Frage der Mittel der politischen Auseinandersetzung, sondern auch um Deutungsansätze, die die Bedrohung durch Nazis in
ihren gesellschaftlichen Kontext setzt.
Während sich die einen für breiten Widerstand gegen Naziaufmärsche und -strukturen sowie um Aufklärung, etwa in Form
des Abbaus von Vorurteilen, und Menschenrechtsbildung bemühen, begreifen die anderen Antisemitismus und Rassismus als
notwendige gesellschaftliche Verhältnisse in einer Gesellschaftsordnung, die die Menschenrechte ebenso hervorbringt wie
die Möglichkeit ihrer Abschaffung. Gemäß jenem Ansatz kategorialer Gesellschaftskritik, wie ihn etwa linksradikale
Gruppen betreiben, erfordert die wirkungsvolle Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus die Überwindung der
kapitalistischen Vergesellschaftungsweise.
Quasi quer zu jenen Deutungsansätzen, organisatorischen und theoretischen Hintergründen der verschiedenen Akteure des
Antifaschismus in Thüringen verbinden uns praktische Bemühungen, etwa zur Eindämmung faschistischer Bewegungen oder zur
Schaffung einer humanitären Flüchtlingspolitik und sei es durch geringste Verbesserungen in der Unterbringung,
Versorgung oder der Möglichkeit überhaupt nach Thüringen zu gelangen.
Der antifaschistische und antirassistische Ratschlag will sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede seiner Akteure
bewusst machen, diese offen diskutieren und richtet sich darin nicht nur an organisierte Antifaschistinnen und
Antifaschisten in Thüringen, sondern an alle interessierten Menschen.
Wer am 2./3. November gemeinsam mit uns diskutieren, sich und andere aufklären und sich mit anderen Aktiven vernetzen
möchte, den laden wir herzlich ein, zum 28. antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag nach Eisenach zu kommen!
Unterstützer_innen:
Antifaschistische Aktion Gotha
Antifaschistische Gruppen Südthüringen
AJUBS Saalfeld
Aktionsnetzwerk Jena gegen Rechtsextremismus
Bildungskollektiv BiKo
Bündnis 90/Die Grünen Kreisverband Eisenach
Bürgerbündnis gegen Rechts Eisenach
Grüne Jugend Thüringen
Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar
DIE LINKE Landesverband Thüringen
DIE LINKE Landtagsfraktion Thüringen
DGB Bezirk Hessen-Thüringen
DGB-Bildungswerk Thüringen e.V.
DGB Jugend Thüringen
DGB-Kreisverband Eisenach
Dissenz Erfurt
ezra - mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Thüringen
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Thüringen
IG-Metall Eisenach
Infoladen Sabotnik
JG-Stadtmitte Jena
Jusos Thüringen
Konferenz Thüringer Studierendenschaften
Landesjugendwerk der AWO
MOBIT e.V.
Naturfreunde Thüringen
Naturfreundejugend Thüringen
Pekari – Linke Basisgruppe
Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
Rote Hilfe Erfurt
Rote Hilfe Jena
Rock am Berg Merkers
SJD – Die Falken. Landesverband Thüringen
SJD – Die Falken. Kreisverband Erfurt
SJD – Die Falken. Kreisverband Jena
SJD - Die Falken. Kreisverband Weimar
Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts
TVVN-BdA
ver.di Thüringen
Wahlkreisbüro Astrid Rothe-Beinlich
Wahlkreisbüro Diana Lehmann
Jugend- und Wahlkreisbüro RedRoXX
Wahlkreisbüro Madeleine Henfling
Wahlkreisbüro Katharina König-Preuss Haskala Saalfeld
Wahlkreisbüro Anja Müller Bad Salzungen
Wahlkreisbüro Kati Engel RosaLuxx Eisenach
Wahlkreisbüro Sabine Berninger LinXX.Treff Bad Berka
Wahlkreisbüro Steffen Dittes Weimar
Zumsaru Saalfeld
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