Unterstützer_innen

Erklärung des Vorbereitungsplenums zum „antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag“.

Wir, die Menschen im Vorbereitungsplenum zum jährlich stattfindenden „antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag“ bedauern und verurteilen die 2020 öffentlich gemachte sexualisierte, psychische, physische patriarchale Gewalt innerhalb der Thüringer linken Szene in mehreren Orten. Insbesondere bedauern wir, dass es innerhalb der Linken offensichtlich an Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die patriarchalen Verhältnisse mangelt, sodass diese Taten begünstigt wurden und die Betroffenen auch Monate nach den Outcalls Mechanismen der Täterentschuldigung, Relativierung bzw. des Täterschutzes erleben müssen. Wir erklären uns solidarisch mit den Betroffenen patriarchaler Gewalt und bekennen uns zu unserer Verantwortung dafür zu sorgen, dass diese, dort wo wir es beeinflussen können, nicht stattfindet.

Der „antifaschistische und antirassistische Ratschlag“ trägt nicht die Worte „antisexistisch“ oder „antipatriarchal“ im Namen. Dennoch wandte er sich immer gegen Erscheinungsformen von Menschenfeindlichkeit, gegen Unterdrückung und Diskriminierung und vertrat solidarische Positionen. Hieraus erwächst die logische Konsequenz auch patriarchale Verhältnisse zu kritisieren. Eine emanzipatorische, befreite Gesellschaft kann es mit patriarchalen Verhältnissen nicht geben. Wir können nicht Rechtsruck, Refaschisierung oder Rassismus thematisieren, kritisieren und an deren Beseitigung arbeiten, ohne selbiges mit der privilegierten Stellung von cis-Männern zu tun. Von nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen, Nötigungen, Ausnutzen von Machtpositionen, Zwang, Übergriffen und Vergewaltigungen ganz zu schweigen. All jenes sind Ausdrucksformen von Gewalt und somit nicht zu dulden! Verantwortung zu übernehmen, bedeutet für uns auch, eigenes Handeln, Themensetzungen und die Atmosphäre beim Ratschlag kritisch zu reflektieren und zu verändern.

Patriarchales Auftreten und Gewalt hat bei Veranstaltungen des Ratschlags keinen Platz. Das verbinden wir gleichzeitig mit der Aufforderung an alle, die progressive Politik machen (wollen) bzw. gesellschaftlichen Fortschritt wollen, dagegen vorzugehen. Unterstützt feministische Wortmeldungen auf Plena, reflektiert eure eigene Handlungen und Sprache, weißt auf übergriffige, unterdrückerische Handlungen und Sprache hin und reflektiert eure eigenen Anteile. Klar ist, dass die Täter der in den Outcalls aus Gotha, Jena, Erfurt und Saalfeld beschriebenen Taten sowie Akteur*innen, die diese Taten öffentlich relativieren oder entschuldigen, auf den Veranstaltungen des „antifaschistischen und antirassistischen Ratschlags“ keinen Zutritt erhalten werden.

Wir erwarten von den betreffenden Personen, dass sie sich selbstständig oder mit Unterstützung mit ihren Taten auseinandersetzen, und sich der Betroffenenperspektive anzunähern versuchen. Täter sowie deren Umfeld können sich beispielsweise an Unterstützungsstrukturen wenden, um Wünsche und Forderungen der Betroffenen zu erfragen, sollten diese nicht bereits öffentlich benannt sein. Ohne diese notwendige Verhaltensänderung haben Täter und deren relativierendes Umfeld nichts mehr auf Veranstaltungen des Ratschlags zu suchen. Dies müssen wir so schreiben, da ein Teil der Täter in den vergangenen Jahren Teil des Orga-Kreises und des Schutzkonzeptes waren. Eine spätere Entscheidung über ein Wiederzulassen bei Veranstaltungen des Ratschlags wird nicht ohne Rücksprache mit den Betroffenen bzw. deren Unterstützungsumfeld erfolgen.

Der Ratschlag ist ein Ort, an dem gesellschaftliche Alternativen und politische Konzepte frei diskutiert und Verhältnisse kritisiert werden sollen. Folglich bemühen wir uns aktuell um ein Awareness-Team, reflektieren auch unser Schutz-Konzept sowie patriarchale Aspekte des Ratschlages und wollen für jede Workshopphase ein feministisches Angebot unterbreiten.

Aufruf zum 29 ½. antifaschistischen und antirassistischen Ratschlag Thüringen vom 06. bis 08. November 2020

Seit 1991 findet der antifaschistische und antirassistische Ratschlag jährlich um den 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, an wechselnden Orten in Thüringen statt. Ziele sind die Analyse aktueller Entwicklungen in Region und Gesellschaft, die Vernetzung sowie die Suche nach gemeinsamen Handlungsperspektiven gegen Rechts.

Die Krise in Gesundheit, Gesellschaft und Politik

Seit Januar 2020 befindet sich die Welt in einer globalen Gesundheitskrise. Der Corona-Virus dominiert nicht nur die öffentliche Berichterstattung, sondern auch die Gespräche im Alltag und in politischen Gruppen. Rassist*innen bespucken und beschimpfen vermeintliche Asiat*innen, weil sie diese für den Virus verantwortlich machen. Sie bezeichnen ihn als „China-Virus“ und machen Geflüchtete und Migrant*innen für die Ausbreitung mitverantwortlich. Es kommt zu massiven Aufmärschen von Verschwörungsideolog*innen, Neonazis, Esoteriker*innen und vielen weiteren. Im Umfeld dieser Demonstrationen kommt es auch zu Übergriffen gegen Journalist*innen.
Doch auch der Staat reagiert mit massiven Einschränkungen auf die Gesundheitsgefährdung. Viele betreffen den persönlichen Bereich, einige auch unsere Grundrechte. Dabei zeigt sich erneut, dass staatliches Handeln mehrheitlich von neoliberalen Interessen geprägt ist. Während bspw. Demonstrationen in Thüringen komplett verboten wurden und Demonstrierende bei einer #LeaveNoOneBehind Demo am 22.April in Jena kriminalisiert wurden, bleiben Produktionen - beispielsweise in der Rüstungs- und Maschinenbauindustrie - anfänglich fast ungestört geöffnet. Auch der Gesundheitssektor ist stark getroffen. Insbesondere dort zeigen sich die Mängel und falschen Entscheidungen der letzten Jahre. Die Beschäftigten müssen dies ausbaden, anfänglich ohne ausreichende Schutzbekleidung, unter einem enormen Druck und schließlich mit einem Klatschen vom Balkon als Dank. Gleiches gilt für die Kolleg*innen im Lebensmittelhandel. Osteuropäische Migrant*innen werden zur Sicherung der Spargelernte eingeflogen, um dann wochenlang, außerhalb der Feldarbeit, unter Quarantäne in Gemeinschaftsunterkünften eingesperrt zu sein.

Durch die Corona-Pandemie bedingten Maßnahmen findet eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen statt. Eine besonders starke Belastung erfahren weiblich sozialisierte Personen. Damit meinen wir Menschen, die aufgrund ihrer familiären und gesellschaftlichen Sozialisation bestimmte weibliche Anforderungen und Verhaltensweisen verinnerlicht haben. Die vom Wert abgespalteten reproduktiven Tätigkeiten, wie bspw. die Pflege von Angehörigen, Kinderbetreuung oder Homeschooling müssen nun noch neben dem Homeoffice, sowie der Lohnarbeit am gewohnten Arbeitsplatz, erledigt werden. Diese Tätigkeiten sind notwendig, um die Ware Arbeitskraft zu erhalten bzw. herzustellen. In der kapitalistischen, auf Warentausch basierenden Gesellschaft, hat eine Ware nicht von sich aus einen Wert, sondern bekommt diesen durch die menschliche Arbeit. Aus diesem Grund ist auch nur die Lohnarbeit wertbildend. Die Schattenseite davon sind eben die Tätigkeiten, die nicht wertbildend sind, aber trotzdem benötigt werden, da sie die menschliche Arbeitskraft reproduzieren (Hausarbeit, Care-Work, etc.). Im patriarchal organisierten Kapitalismus sind es mehrheitlich Frauen*, die diese Aufgaben erledigen müssen. Ebenso wie der Ware, scheinbar natürlich der Wert zukommt und das dahinterstehende gesellschaftliche Verhältnis verkannt wird, wird die Grundlage der Arbeitskraft und dementsprechend der Warenproduktion verdeckt. Die Arbeitskraft und letztendlich der Wert existieren also nur aufgrund der Abspaltung dieser Tätigkeiten vom Wert in un- oder schlechtbezahlten Care- und Reproduktionsarbeiten. Diese Grundlage wurde nun einerseits durch die Corona bedingten Maßnahmen sichtbar. Andererseits führt der Lockdown zu einer Verlagerung bestimmter Tätigkeiten zurück ins Private, die vorher gesellschaftlich getragen wurden, wie Schule und Kinderbetreuung. Da diese hauptsächlich von Frauen* erledigt werden, entsteht für sie eine höhere Belastung als zuvor. Zusätzlich nimmt die häusliche Gewalt zu, so dass 'stay home' für viele, vor allem weiblich sozialisierte Personen, keinen Schutz bringt, sondern die feministische Erkenntnis, dass das eigene Zuhause oft kein sicherer Ort ist, bestätigt. Auch in dieser Krise werden am Ende marginalisierte und ausgebeutete Gruppen für den Großteil der Ausgaben aufkommen und das meiste Leid erfahren.

Am 25. Mai wird George Floyd in den USA von Polizisten aus rassistischen Motiven ermordet. Trotz Corona und der Gefahr einer Ansteckung gehen bundesweit hunderttausende Menschen auf die Straßen, organisieren sich. Der Antirassismus bekommt die Aufmerksamkeit, die er seit Jahrzehnten verdient, wenn es nicht um deutsche, sondern US-amerikanische Zustände geht. Solche Großdemonstrationen kamen nicht zustande nach dem Mord an Oury Jalloh, dem desaströsen Versagen bei der Polizei und des Verfassungsschutzes bei der Aufklärung der Morde des NSU-Netzwerkes oder dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle.
Und es geht weiter: Die FDP lässt im Februar in Thüringen einen Ministerpräsidenten mit der Gnade der AfD wählen, in Hanau ermordet ein Rassist zehn Menschen und es ziehen vermehrt neonazistische Kader nach Thüringen. Es zeigt sich, dass die konservative bis faschistische Organisation nicht stillsteht. Sicherlich schafft die Wahl Kemmerichs eine Großmobilisierung, jedoch verursacht weder der Zuzug von neonazistischen Kadern, noch die Morde von Hanau einen Aufschrei der Anständigen und wieder einmal kein Handeln der Zuständigen. Gerade jetzt stellt sich also die Frage nach antifaschistischer und antirassistischer (Re)Organisation und öffentlichen Aktionen in Zeiten der Krise.

Lasst uns trotz der Corona-Krise nicht ruhig sein und gemeinsam nach antifaschistischen und antirassistischen Handlungsperspektiven suchen.

Doch was bedeutet das alles für den Ratschlag 2020?

Auch wir stecken in all diesen Prozessen fest. Auch uns, als Orgakreis des antirassistischen und antifaschistischen Ratschlags betreffen diese Diskussionen. Und wir alle merken, dass wir diesen Austausch benötigen, aber in diesem Jahr nicht zentral verantworten können, um Ansteckungen zu vermeiden. Der Ratschlag steht immer für seine Offenheit und die Möglichkeit der freien Teilnahme. Die Corona-Maßnahmen mit Pandemienachverfolgungslisten, Teilnehmer*innenbeschränkungen und starken, berechtigten Hygieneauflagen würden all dies in Frage stellen. Wir werden also im Jahr 2020 keinen zentralen, klassischen Ratschlag stattfinden lassen. Jedoch möchten wir trotzdem die Möglichkeit zum Austausch und zur Bildung geben. Digital, dezentral, solidarisch. Nehmt teil an den dezentralen Mahngängen, klickt euch in die digitalen Workshopangebote, oder nehmt an den kleineren Workshops in eurer Stadt teil. Bei allen Angeboten werden die notwendigen Hygienebestimmungen eingehalten.

UnterstützerInnen

Antifaschistische Gruppen Südthüringen
biko – Bildungskollektiv e.V.
DBSH - Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.
DGB Bezirk Hessen-Thüringen
DGB-Bildungswerk Thüringen
DGB Jugend Thüringen
Dissens – Antifaschistische Gruppe Erfurt
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
ezra - Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen
GEW - Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Region Thüringen
Haskala Saalfeld, WKB Katharina König-Preuss
Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement (IBS) gGmbH
IG Metall Verwaltungsstellen Thüringen
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Landesgruppe Thüringen
JAPS Jena
JG Stadtmitte Jena
JuSos Thüringen
Kommune Waltershausen
Linksjugend ['solid] Thüringen
Lothar Adler
MOBIT e.V.
NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Region Thüringen
RedRoXX Erfurt, WKB Christian Schaft, Katja Maurer und Susanne Hennig-Welsow
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Rosaluxx. Eisenach, WKB Kati Engel
Rote Hilfe OG Erfurt
Rote Hilfe OG Südthüringen
SJD – Die Falken. Landesverband Thüringen
SJD – Die Falken. Kreisverband Weimar
ver.di Thüringen
ver.di Jugend Thüringen
WKB Anja Müller
WKB Diana Lehmann
WKB Martina Renner
WKB Sascha Bilay
Landesfrauenrat Thüringen e.V.
Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten e.V.
WKB Lena Saniye Güngör